Vorwort
Als vor nunmehr neunzehn Jahren mein „Handbuch der historischen Chronologie
des deutschen Mittelalters und der Neuzeit” die Presse verlies, erkannte
ich sehr wohl, dass damit meine Aufgabe, ein praktisches Hülfsmittel für
die deutschen Historiker zu schaffen, noch keineswegs abgeschlossen sei. Es
galt ebenso sehr die bis dahin bekannt gewordenen Quellen nochmals genauer zu
durchforschen, als den fort und fort in neuen Veröffentlichungen herbeiströmenden
weiteren Stoff zu sammeln und zu sichten. In ungeahntem Maasse wuchs mir die
Arbeit unter den Händen. Naturgemäss kam der Zuwachs namentlich den
Theilen des früheren Buches zu Gute, die in dem Gewände einer systematischen
Einleitung und zweier Glossare (deutsch und lateinisch) erschienen waren. Für
die Neuherausgabe des Buches verlangte die Uebersichtlichkeit dringend das Aufgeben
dieser Theilung und die Vereinigung des gesammten Textes in einem alphabetischen
Glossare. Sodann war die Beobachtung der Verschiedenheiten der Diöcesan-
und Ordens - Kalender mir bei jeder neuen Quellen - Veröffentlichung in
stets erhöhtem Maasse von Wichtigkeit erschienen, so dass ich wünschen
musste, für jede Diöcese und für jeden Orden, die für Deutschlands
Geschichte in Betracht kommen können, den zugehörigen officiellen
Kalender wiederzugeben.
Diese Erweiterung des Inhalts machte für den Handgebrauch eine Theilung
in zwei Bände wünschenswerth; sie ist in der Weise vorgenommen, dass
in dem ersten, vorliegenden Bande des neuen Werkes ausser dem |iv| Glossar die —
erheblich vermehrten — systematischen Tafeln, die 35 Kalender und die Uebersicht
der Jahreskennzeichen enthalten sind, während dem zweiten Bande die Diöcesan-
und Ordens-Kalender und das Heiligenvenzeichniss zufallen. Ein Anhang von Tafeln,
die sich noch als nothwendig erweisen, ist für den Schluss des zweiten
Bandes in Aussicht genommen.
Ich dachte dabei nur an Regententafeln der Papste und Kaiser und ein Verzeichniss
der Finsternisse, bitte aber weitere Wünsche in öffentlicher Kritik
oder in persönlicher Zuschrift mir aussprechen zu wollen. In gleicher Weise
bitte ich alles etwa für einen Nachtrag zum Glossar sich eignende Material
mir zugänglich zu machen. Ein Buch, das einem grossen Kreise zu täglichem
Gebrauche dienen soll, muss mehr als jedes andere darauf bedacht sein, den Bedürfnissen
dieses Kreises gerecht zu werden, kann aber auch ebenso auf die thatkräftige
Unterstützung derjenigen Anspruch erheben, denen es Hülfe bringen
will. Was den Inhalt dieses ersten Bandes betrifft, so sind die Tafeln durch
die beigefügten oder im Glossar gegebenen Erläuterungen verständlich.
Nur über das Glossar seien mir einige Worte gestattet, und zwar hauptsächlich,
um gegen etwaige voreilige Verurteilung durch weniger unterrichtete Benutzer
die Berufung an den grösseren Kreis der besser unterrichteten Benutzer
einzulegen. Wenn meine Vorgänger, namentlich des vorigen Jahrhunderts,
auf Grund der damaligen mangelhaften Drucke sich noch mit der vigilia Horemiii
statt Lorencii, mit Aliden und Sonien statt Abdon und Sennen,
mit Pragestwoche statt Pingestwoche, sant Paschentag statt
sant Prischentag, dies Osartini statt Martini, Seromini statt
Jeronimi plagen mussten, so konnte ich diese Ausgeburten fehlerhafter
Lesung wohl ebenso gut übergehen, wie ich es mit den neueren Franastentag
statt Franciscentag und Gwennetag statt Georientag oder
ähnlichem (Archiv für Unterfranken 14, 3, 179. 156), mit Aldermamaicht
statt Aldenuasnaicht (Publ. de Luxemb. 33, 176), mit beatarum
Marien et sororis ejus (Mecklb. Urkb. nr. 6911) statt beatorum Maricii
et sociorum ejus des Originals gethan habe. Ich erwähne diese Beispiele
hier nur, um zu zeigen, mit welchen Factoren man bei der |v| Auflösung auffallender
Daten zu rechnen hat, und dass, falls ein solches im Glossar fehlen sollte,
nicht immer ein Mangel des Glossars anzunehmen, sondern vielleicht auch im eigenen
Lesen oder in der nicht geübten Kritik an den Abschriften anderer der Fehler
zu suchen ist.
Mich mit meinen Vorgängern wegen ihrer offenbaren Irrthümer auseinanderzusetzen,
habe ich vielfach unterlassen, und hoffe, die einsichtsvollen Benutzer werden
es mir Dank wissen. Um zu zeigen, dass ich recht that, will ich nur zwei derartige
Beispiele anführen. Pilgram, der S. 164 für dominica Chananaeae
richtig nach l'Art de vérifier les Dates den zweiten Fastensonntag
angiebt, erklärt S. 161 Cananaea (woher, ist mir unbekannt) als
feria quinta primae hebd. Quadrag.; dieses findet sich bei Brinckmeyer
als feria quarta post hebd. Quadrag. falsch abgeschrieben. Als zweites
Beispiel gelte desselben Autors verständnisslose Uebersetzung der Worte
Pilgrams: Feria quarta quatuor temporum adventus durch Mittwoch der
vier Adventszeiten. So etwas widerlegt zu sehen, konnte ich der Geduld der
Benutzer nicht zumuthen.
Mit hoher Freude darf ich berichten, dass auch diesem neuen Werke, wie seinem
Vorgänger, Helfer und Rather nicht gefehlt haben. Allen Freunden und Fernerstehenden,
die mir durch ihre Mittheilungen werthvolle Beiträge geliefert, die mir
durch ihre Fragen oder Zweifel Gelegenheit geboten haben, aufs Neue Forschung
und Kritik einzelnen Punkten zuzuwenden, die mir auf meine Bitten durch Rath
und That behülflich waren, sei mein Dank hiermit nochmals öffentlich
ausgesprochen.
Schwerin, im Juli 1891. Dr. H. Grotefend.
[|iii|]Vorwort
In dem Vorwort des ersten Bandes meiner "Zeitrechnung" habe ich dem zweiten Bande die Kalender der Diöcesen und Orden, die für Deutschlands Geschichte in Betracht kommen, das alphabetische Heiligenverzeichniss und einen Anhang von Tafeln zugewiesen. Wenn ich jetzt diesen Stoff in zwei Abtheilungen zerlege, so geschieht es, weil ich wünsche, die Kalender der deutschen, schweizerischen und skandinavischen Diöcesen so bald als möglich den Geschichtsforschern zugänglich zu machen.*)
Es wird sich niemand ernstlich einreden wollen, dass die Kalender ohne den alphabetischen Schlüssel unbrauchbar sind. Auch wenn das Heiligenverzeichniss schon den Gebrauch der Kalender vermitteln wird, wird sich doch jeder Forscher für das bei seinen Arbeiten hauptsächlich in Frage kommende Gebiet ein Specialverzeichniss anlegen, oder was ich noch mehr empfehlen möchte, sich einen vergleichenden Kalender der für ihn wichtigen Diöcesen zusammenstellen; und für beides bieten nur die vollständigen Kalender, nicht aber das alphabetisch geordnete Heiligenverzeichniss den sicheren Untergrund.
Um einen solchen aber war es mir bei meiner Arbeit zu thun. Man hat an manchen Orten schon begonnen, Specialforschungen über die Datirungseigenthümlichkeiten der einzelnen Diöcesen anzustellen, und diese Forschungen haben in der Mehrzahl darin gegipfelt, einen oder mehrere Kalender der erforschten Diöcesen wiederzugeben. Nicht immer aber war das Streben dieser Forscher auf provinziell beschränktem Quellengebiete von glücklichem Erfolg. So führt ein Buch, das mir leider zu spät bekannt wurde, um es für meine Kalender benutzen zu können (Lechner, mittelalterliche Kirchenfeste und Kalendarien in Bayern), unter sonst brauchbarem Material auch einen Kalender der Benedictiner-Abtei Hastieres in der Lütticher Diöcese als Regensburger Kalender auf, und vindicirt den von Albert von Beham mitgetheilten Cisiojanus, nur weil Albert neben anderen Pfründen auch dem Domkapitel Passaus angehörte, für Passau, trotzdem die Heiligen Georg und Margarethe entgegen dem dortigen Gebrauche angesetzt sind. Nur die Möglichkeit, die Kalender eines grösseren Gebietes in unbezweifelbar bestimmte Exemplaren Überblicken zu können, kann vor solchen Irrthümern bewahren darum wird den Werth eines dazu geeigneten Hülfsmittels wohl ein jeder zu schätzen wissen, für den es sich darum handelt, die Datirungseigenthümlichkeiten einzelner Diöcesen oder Orden festzustellen. Man wird fragen, warum ich meiner Zusammenstellung mit Vorliebe die Kalender des ausgehenden fünfzehnten Jahrhunderts zu Grunde gelegt habe. Das beruht einesteils auf dem Umstände, dass diese Zeit den Höhepunkt kirchlichen Lebens zum kalendarischen Ausdruck bringt, und dass man durch vergleichende Forschung eher zum Abstrich neu eingerichteter Feste und zur Berücksichtigung der durch sie entstandenen Veränderungen gelangen kann, als man im Stande ist, aus den weniger zahlreichen Angaben älterer Kalender auf die spätere Geltung neu eingeführter Feste zu schliessen; anderentheils findet es seinen Grund darin, dass die zahlreichere Erhaltung der Kalendarien dieser Zeit in den Frühdrucken eine gleichartigere und gleichwertigere Grundlage von authentisch beglaubigten Kalendarien für fast alle Diöcesen und Orden zu Gebote stellt, als dieses für irgend eine andere Zeitperiode möglich ist.
Gerade betreffs der Authenticität des Ursprunges der Kalender bieten die älteren handschriftlichen Ueberlieferungen nur selten eine Bürgschaft und es sind doch nur Kalender der Domstifter selber für die Bestimmung der Datirungseigenthümlichkeiten der Diöcesen vollgültig zu verwenden. Bei anderen haben örtliche Geltuung, Ordensbeziehungen oder auch der subjective Einfluss des Schreibenden oftmals grosse Abweichungen zur Folge gehabt. Letzteres ist besonders der Fall bei den zahlreichen älteren Kalendern, die für jeden Tag einen Heiligennamen aufweisen; sie sind für unseren Zweck nahezu unbrauchbar, da man die in Wirklichkeit kirchlich gefeierten Tage von dem Füllmaterial nicht unterscheiden kann, das der Schreiber meist nach eigener Laune aus der Menge der Heiligen des in seinem oder des Stifts Besitze befindlichen Martyrologs auswählte.
Dass ich ausser der Mittheiluug der Diöcesankalender auch einigen lokalen Gebräuchen Rechnung trug, und Erfurt, Goslar, Halle, Hamburg, Kopenhagen mit den Kalendern ihrer Stifter aufnahm, wird man bei der Bedeutung dieser Kirchen und der Menge der Abweichungen ihrer Kalender erklärlich finden; andere Kirchen, wie Aachen (Diöc. Lüttich), Frankfurt a. M. und Fritzlar (Diöc. Mainz) fanden bei ihren Diöcesen Berücksichtigung. Braunschweig und auch das bisher mir nicht zugängliche Bisthum Posen werden im Nachtrage gebracht werden.
Wie die Bezeichnung der festa fori und die Festgrade zu benutzen sind zur
Bestimmung zweifelhafter Daten, das rnuss ich in jedem einzelnen Falle der
Findigkeit der Benutzer überlassen. Ich will nur zwei Beispiele anführen. In
den meisten Diöcesen wird, wenn überhaupt, der Maternustag im September gefeiert. Obschon dieser Heilige nun ein Bischof von Trier ist, findet sich hier die Feier
desselben nicht im September, wo er nur von einzelnen Kalendern erwähnt wird,
sondern am 23. October, wo der halbfette Druck die hohe Feier andeutet. In
Zweifelfällen wird uns für Lausanne und Würzburg die sollennere Feier des Tages
Petri ad vincula nöthigen, diesen dem geringer gefeierten Tage Petri ad cathedram
vorzuziehen, während bei Havelberg und Magdeburg das umgekehrte der Fall ist.
Den vielen, vielen Helfern bei der Sammelarbeit sage ich hierdurch meinen besten Dank. Der Schluss der Kalender, das alphabetische Heiligenverzeichniss und der Anhang von Tafeln soll so rasch wie möglich als zweite Abtheilung des zweiten Bandes folgen.
Schwerin im November1892
Dr. H. Grotefend.
*)Unter die Kalender Deutschlands sind, ausser den österreichischen, auch alle die Diöcesen aufgenommen, die einem deutschen Erzbisthume als Suffragane unterstellt waren, so Toul und Verdun, Lüttich und Utrecht. Dagegen werden Besancon, Cambray, Tournay unter den romanischen Diöcesen folgen
[|v|] Vorwort
In der vorliegenden zweiten Abtheilung des zweiten Bandes der "Zeitrechnung", die äusserlich als selbständigen Band zu behandeln schon die lange Verzögerung ihres Erscheinens mich veranlasst hat, übergebe ich der Oeffentlichkeit genau 25 Jahre nach der Herausgabe des „Handbuchs der Chronologie” den Schluss dieser ausführlicheren Bearbeitung.
Leider konnte ich nicht alle in den früheren Vorworten erregten Hoffnungen erfüllen. Sowohl den Abdruck der noch übrigen Diöcesan-Kalender, wie auch den in Aussicht gestellten Anhang von Tafeln (namentlich Regententafeln) musste ich mir versagen. Durch die ersteren wäre das Buch in unangemessener Weise angeschwollen und vertheuert worden, die letzteren aber so auszuwählen, dass nicht die erforderliche Beschränkung zahlreiche Benutzer durch Nichterfüllung ihrer Wünsche gekränkt hätte, das war ein Ding der Unmöglichkeit. Meine Bitte, sich über etwa anzuhängende Tafeln zu äussern, hatte so zahlreiche Wünsche zu Tage gefördert, dass ein voller Band nöthig gewesen wäre, um sie alle zu befriedigen.
Die Wahl war schwer. Ich zog es vor, lieber auf die angekündigten Tafeln für jetzt ganz zu verzichten, als durch deren Wiedergabe bei Ausschluss der übrigen gewünschten gleichwerthigen Verzeichnisse einer zukünftigen Veröffentlichung aller im Wege zu stehen.
Sollte ich selbst nicht mehr zu dieser kommen (und es kann sein, dass mein Amt mir nicht die nöthige Musse dazu lässt), so hege ich das Vertrauen, dass sich ein Anderer findet, der allein für sich die Arbeit unternimmt, oder sich an Gleichstrebenden darin theilt. Ich selbst bin auf alle Fälle bereit, nach Kräften mich an einer solchen Arbeitsgemeinschaft zu betheiligen.
Von dem Inhalt der vorliegenden Abtheilung bedarf nur das Heiligenenverzeichniss noch einer Bemerkung. Den auf S. 54 gegebenen Erläuterungen habe ich betreffs der Anordnung der Heiligen gleichen Namens hinzuzufügen, dass bei diesen stets die den Diöcesan- und Ordenskalendern entnommenen Heiligen voranstehen, ihnen folgen als zweite Reihe die aus unsicheren Quellen oder auf Hülfsmitteln stammenden. Beide Reihen sind in sich nach der Folge der Monatstage geordnet, nur stehen, wo viele Heilige gleichen Namens sind, die Hauptvertreter, die in Zweifelfällen den Vorzug verdienen, allen voran, z.B. bei dem Namen Johannes: Der Täufer, der Evangelist und Johannes und Paulus. Erst nach ihnen beginnt die Reihe der übrigen den Kalendern entnommenen heiligen Johannes, nach der Tagesfolge geordnet.
|vi| Dass ich meinen Dank allen Helfern beim Werke wiederhole, dass ich auch jetzt wieder dringend bitte, Nachträge und Berichtigungen mir zuzustellen, dass auch ich meinerseits mich wiederum bereit erkläre, jede mir mögliche Auskunft Fragen oder Zweifeln gegenüber gern zu ertheilen, wird mir auch ohne diese besondere Versicherung geglaubt werden.
Alle, die mich bisher in irgend einer Weise unterstützt haben, auch die
Fragesteller und Zweifler, werden sich überzeugen können, dass ihre Anregungen von Nutzen für das Werk geworden sind.
Hat sich doch so das Wort Roth's von Schreckenstein erfüllt, das ich 1872 an die Spitze meines Vorwortes stellte, dass die mühsamen Vorarbeiten ein Einzelner kaum unternehmen könne
Schwerin (Mecklb.), am 17. October 1897.
Dr. H. Grotefend